This Car‘s a Girl.
John Carpenter’s Christine
von Sulgi Lie
Am Anfang ist die Geburt, das ist beim Auto nicht anders als beim Menschen – mit dem Unterschied, dass Christine nicht dem mütterlichen Leib entspringt, sondern maschinell in die Welt geworfen wird, irgendwann im Jahr 1957, in Detroit. Der Prolog von John Carpenters Film aus dem Jahr 1983 dreht die Zeit in die 1950er zurück, nicht untypisch für den Retro-Chic des 1980er Hollywood-Kinos, in dem viele Filme nostalgisch auf ein Jahrzehnt zurückblickten, in dem Americana, Surbubia und Rock’n Roll noch im Stadium jungfräulicher Unschuld zu strahlen schienen. So schimmern die fertig montierten Karosserien, die langsam das Fließband entlanggleiten, im Schimmer von cremefarbenem Chrom und Stahl, musikalisch begleitet von Georg Thorogood & The Destroyers 1982er Rockabilly-Song Bad to the Bone, in dessen erster Zeile es heißt „On the Day I was born.“ So eindeutig hier alle visuellen und musikalischen Zeichen auf Fifties-Fetisch geschaltet sind, so ruft der Film sie nur auf, um sie im selben Moment subtil zu unterlaufen. Denn die „bad to the bone“-Pose des bösen Machorockers, der schon bei Geburt so „bad ass“ ist, dass die Krankenschwestern um ihn herum ohnmächtig werden (so heißt es ungefähr im Song), wird sich tatsächlich verkörpern, allerdings weder in einem menschlichen und männlichen Subjekt, sondern in einem mechanischen und weiblichen – eben Christine.
Diese Christine, serienmäßig ein Plymouth Fury, trägt eine feuerrote Lackbekleidung, die sie als eine Sonderanfertigung kennzeichnet und als solche wird sie in der Eröffnungssequenz von ihren gleichfarbigen fordistischen „Brüdern“ unmissverständlich abgesetzt: A Lady in Red, eine Marylin. Aber wie wir aus der Geschichte insbesondere des Film Noirs nur zu gut wissen, ist die Femme Fatale Sexsymbol und Todesengel zugleich. Davon legen gerade viele Filme der 1980er Jahre ein beredtes Zeugnis ab, von Lawrence Kasdans stilbildendem Neo-Noir Body Heat (1981), in der Kathleen Turner den armen William Hurt als „heißkalte Frau“ (so der deutsche Titel) in den Abgrund treibt, bis zu Jonathan Demmes Something Wild, in dem Melanie Griffith den spießigen Jeff Daniels im Bett mit Handschellen traktiert. In diesem Sinne fordert Christines tödliche Sexyness bereits bei ihrer Geburt zwei männliche Todesopfer, die auf fast schon organische Art und Weise von ihr verschlungen werden: Dem ersten Arbeiter fällt die mundartige Motorhaube auf die Arme; dem Zweiten, der es sich in mit einer Zigarre im bauchförmigen Innenraum gemütlich gemacht und das Autoradio eingeschaltet hat, fällt später tot aus dem Türrahmen heraus. Es liegt nahe, in dieser tödlichen Sukzession von Mund und Bauch eine Variante jener grausigen Szene in Carpenters vorangegangenem The Thing (1982) zu erkennen, in der sich bei der versuchten Wiederbelebung eines Alien-infizierten Wirtskörpers urplötzlich der Bauchraum öffnet und sich als riesiger Mund mit Zähnen offenbart, der die Arme des behandelnden Arztes kurzerhand abbeißt. Obwohl dieser ekelerregende Horror des Organischen von Carpenter in Christine ins anorganisch Mechanische transponiert wird, zeichnet sich in der Kälte des Metalls ein pulsierendes Fleisch ab – ein Automobil, aber ein anthropomorphes. Und bei einem Regisseur, der die akustische Dimension des Horrors vielleicht wie kein anderer ausgestaltet hat (zur „Akusmatik“ bei Carpenter siehe auch hier), verwundert es auch nicht, dass Christine als technisches „Thing“ nicht nur ein weibliches Wesen ist, sondern auch ein vokales: Christine Stimme ist ihr Autoradio, das anfangs noch manuell angemacht wird, sich im Laufe des Films aber immer öfter automatisch einschaltet. Das Autoradio ist ein Autoradio. Nun singt Christine mittels dieser technischen Prothese nicht irgendwelche Songs, die halt zufällig grad im Radio laufen, vielmehr hat sie ihr Repertoire auf ein bestimmtes historisches popmusikalisches Genre eingegrenzt: Ganz Kind ihrer Zeit, hat sie sich ausschließlich auf den Rock’n Roll der 1950er Jahre spezialisiert und beginnt ihre Playlist mit Buddy Holly & The Crickets‘ Not Fade Away aus ihrem Geburtsjahr 1957, in deren Zeilen die ewige Liebe mit automobilen Metaphern beschworen wird: „My love not fading away. My love bigger than a Cadillac.“ Das sentimentale Versprechen ewiger Liebe schlägt indes schnell ins strikte Gegenteil um, denn es ist der schnelle Tod, der die Insassen von Christine in dem Moment ereilt, in dem das automatische Autoradio zum tödlichen Rock’n Roll-Gesang anstimmt. Auch wenn Christine in einer Art transvestitischer Geschlechtsverstellung per Autoradio das Timbre männlicher Sänger annimmt, so knüpft doch der akustische Umschlag von Genießen und Tod an den mythologischen Gesang der Sirenen an, den Homer in der Odyssee beschworen hat: Die Ekstase der weiblichen Stimme zieht den Hörer in den Untergang, und Odysseus kann sich dem Tod nur entwinden, in dem er sich an den Mast seines Bootes fesseln lässt und so dem Gesang aus sicherer Entfernung lauscht. Nur zu blöd, dass sich anders als bei Homer im engsten Raum des Autos Musik und Hörer im selben Boot befinden: In dem die akustische Umhüllung des Fahrers durch das Radio als klaustrophobische Kompression inszeniert wird, entfernt sich der Film dezidiert von der vertrauten Dynamisierung des Raumes durch die Musik, die in unzähligen Filmszenen das Freiheitsversprechen des Automobils an eine extensive Bewegung bindet.
In Christine wird diese berauschende Extension durch Cars and Rock’n Roll maximal negiert, der vektoriale Fluchtpunkt des Autos ist hier nicht die Ausdehnung des Körpers in den Raum, sondern gleichsam seine Schrumpfung im Innenraum einer Kabine, die schnell zu einem Gefängnis werden kann. Obwohl sich in späteren Szenen auch einige Verfolgungsjagden finden, ist der Film dann am Unheimlichsten, wenn Christine stillsteht und dabei doch lebendig ist. Insofern unterscheidet sich der Film auch von dem scheinbar verwandten Film Duel (1971) von Steven Spielberg, in dem ein Autofahrer grundlos von einem Truck ohne sichtbaren Truckfahrer verfolgt wird: Auch ohne Fahrt aufzunehmen, ist Christines lauernder Motor von tödlicher Effektivität. Christine bricht sowohl mit dem Aktionsmodus des Fahrens, Fahrens, Fahrens als auch mit der audiovisuellen Konvention, diese Motion mit der Emotion von Popmusik zu verstärken. Vielmehr deutet der Film das gutgelaunte Rock’n Roll-Medley zu Todesmelodien um und reiht sich damit in Filme wie David Lynch’s Blue Velvet ein, um in den 80er Jahren zu bleiben, der in Bobby Vintons gleichnamiger Schnulze das Grauen der kleinbürgerlichen Idylle freilegt. Auch an Kenneth Angers Avantgarde-Klassiker Scorpio Rising (1963) muss man denken, in dem Blue on Blue desselben Bobby Vinton zur homoerotischen Hymne der Biker-Subkultur umcodiert wird. So wird man nach Christine Buddy Holly und Little Richard mit anderen Ohren hören müssen.
Der Rock schlägt auch die Brücke zu Rockbridge, einer kalifornischen Kleinstadt im Jahr 1978, in der die nun die eigentliche Erzählung einsetzt. Wer mit Carpenters Slasher-Klassiker Halloween (1978) vertraut ist, ahnt schon, dass amerikanische Kleinstädte besonders gerne von untoten Gestalten heimgesucht werden. Doch zunächst übt sich der Film in einem Subgenre, das vor allem in den 1980er in Hits wie John Hughes‘ The Breakfast Club (1987) Popularität errang: der High-School-Komödie. Da ist der sexuell unerfahrene Geek Arnie (Keith Gordon in seiner Reprise seiner Rolle in Brian de Palmas Dressed to Kill von 1980), sein bester Buddy und Football-Star Dennis (John Stockwell) und die unerreichbare Schönheit Leigh (Alexandra Paul). Aber es gibt auch die Bad Boys Gang um den Rocker Buddy, der wie eine böse Version von John Travolta aussieht und dem armen Nerd Arnie das Leben in der Schule zur Hölle macht. Horny sind sie natürlich alle: „I need a girl to get laid!“ Dieses Girl lässt dann nicht lange auf sich warten, auch wenn das rote Marylin-Kleid von Christine bei Arnies erster Begegnung mit ihr seinen Lack schon längst eingebüßt hat. Geboren 1957, scheint Christine 1978 schon jung verstorben zu sein und als metallischer Schrott auf dem Hof eines heruntergekommenen Hauses am Straßenrand vor sich hinzuwesen. Doch als Arnie bei einer Spritztour mit Dennis sie zufällig erspäht, ist es Liebe auf den ersten Blick: Trotz der 93.000 verbrauchten Meilen, erspäht Arnie in ihr die einstige flammende Schönheit, während Dennis nur ein Stück Scheiße vor sich sieht. Der Verkäufer, ein derangierter Greis gibt den Namen der „Tochter“ an den „Sohn“ weiter: „Her name is Christine.“
Bei seiner eigenen Mutter und seinem Stiefvater stößt Arnies neue Flamme indes auf wenig Begeisterung, aber um Arnie ist es längst geschehen: Nicht nur will er aus Scheiße Gold machen, sondern auch das Tote wieder verlebendigen. Mit dieser Fantasie ruft der Film ein zweites mythologisches Motiv auf: Gleich dem antiken Bildhauer Pygmalion, der sich in seine eigene Statue verliebt hatte und die Göttin Venus um ihre Verlebendigung anflehte, so heuert Arnie in einer Autowerkstatt an, um als besessener Kunsthandwerker an der Animierung der schönen Autofrau zu arbeiten. Als das Werk endlich vollbracht ist, kreuzt Arnie nicht nur mit der wiedererblühten Christine an seiner Seite bei einem Football-Spiel auf, sondern auch mit High School-Beauty Leigh im Arm: Die Frau ist die Metonymie des Autos. Doch die Verschmelzung von Christine und Leigh währt nur einen kurzen Moment, denn zwischen den beiden Schönheiten bricht bald ein erbarmungsloser Konkurrenzkampf um die Gunst von Arnie aus, der in Folge seines ästhetizistischen Obsession nun endgültig vom harmlosen Nerd zum eiskalten Engel geworden ist: Das Schöne will das Böse. In der grandiosesten Szene des Films wird der mörderische Schönheitswettbewerb in einem gedoppelten Autokino ausgetragen: Als Kulisse zum First Time Sex haben sich Arnie und Leigh wie viele Teenies ein Drive-in-Theater ausgesucht, doch während des Vorspiels bricht Leigh plötzlich ab und läuft in den strömenden Regen. Von Arnie überredet, wieder ins Innere von Christine zurückzukehren, gesteht sie ihm ihre Eifersucht auf das Auto. Arnie: „I thought girls supposed to be jealous about other girls, not cars.“ Leigh: „This car’s a girl.“ In eingeschnittenen Close-ups von Details aus Christines Armaturenbrett dreht sich das Subjekt des Blicks auf paradoxe Weise um: es ist, als ob Christine mit ihren Objektaugen einen bösen Blick auf Leigh werfe. Als Arnie kurz den Wagen verlässt, um die Scheibenwischer zu reparieren, verriegelt Christine die Türen, dreht die Innenbeleuchtung auf maximale Helligkeit und singt dazu Robert & Johnny’s 1958’er Schnulze We Belong Together: „You’re mine and we belong together. Yes, we belong together for all eternity.“ Als die Todesmelodie des Liebeslieds bei Leigh beinahe zum Erstickungstod führt, schneidet Carpenter in eine unmögliche Aufsicht auf sie herab wie Hitchcock beim Duschmord in Psycho auf eine andere Leigh – Janet Leigh. Erweist Carpenter einmal mehr in der Kontraktion des filmischen Raums seinem erklärten Vorbild Howard Hawks seine Reverenz, so kreuzt er hier Hawks mit Hitchcock – „Hitchcock-Hawksianismus“, so lautete ja einst André Bazins Name für die Autoren der Cahiers du Cinéma. Als solch Hitchcock-Hawksianer der 1980er Jahre erweist sich John Carpenter, wenn er die minimalistische Raumkonstruktion von Hawks mit Hitchcocks „Triumph des Blicks über das Auge“ (Slavoj Zizek) vereint.
Gegen dieses automatische Böse haben auch die halbstarken Rocker um Buddy keine Chance, die Christine mit aller Gewalt in Schutt und Asche legen, um Arnie eins auszuwischen. Dieses Mal braucht es keiner manuellen Animation durch einen Pygmalion, denn Christine repariert und reanimiert sich selbst in einem magischen Akt. Nach diesem durchlaufenen Zyklus von Geburt, Tod, Wiedergeburt, zweiter Tod und die wiederholte Wiedergeburt ist Christine endgültig unzerstörbar und unkaputtbar. Erbarmungslos hetzt sie nun Buddy und seine Buddies in den Tod und schmiegt sich dabei gar durch engste Gassen hindurch: Baby’s on Fire. Wieder geht es in den Todesarten des Films weniger um Extension und Expansion als vielmehr um Kompression und Kontraktion: So drückt sich der Vordersitz von selbst langsam nach vorne, um den schmierigen Besitzer der Autowerkstatt zum Sound von Thurston Harris‘ Little Bitty Pretty One Stück für Stück zu zerquetschen. Die totale Kompression scheint auch die einzige adäquate Methode, Christine den Garaus zu machen: Nachdem Christine Arnie aus der Windschutzscheibe schleudert und tötet, trachtet sie als endgültig selbstfahrendes Auto, Leigh und Dennis nach dem Leben. Erst die brutale Planierung durch ein Raupenfahrzeug raubt ihr ihre Scheinwerfer- und Lebenslichter. Doch der finale Song aus dem Autoradio verheißt leider nichts Gutes, beschwört er doch die Unsterblichkeit des Rock‘n Rolls: Rock’n Roll is Here to Stay. In dem Song von Danny and the Juniors heißt es:„Rock‘n roll is here to stay. It will never die.“ Das kann nur heißen, dass Christine wie Michael Myers in Halloween nicht getötet werden kann und als untotes Substrat weiterlebt – als röchelnder Atem, der sich nach Myers‘ scheinbaren Tod über die letzten Einstellungen von Halloween legt oder als Autoradio-Sound, der auch dann noch aus Christines Innerem zu tönen scheint, als sie als ein kompakt zusammengepresstes Metallquadrat in der letzten Szene des Films auf dem Schrottplatz liegt. War am Anfang die Geburt in der Fabrik, so steht am Ende das Begräbnis auf dem Schrottplatz. Kam der Rocksong jetzt vom Transistorradio des Arbeiters im Hintergrund oder doch aus dem Leichnam von Christine? Carpenters Faible für den Horror des Akustischen und des Akusmatischen lässt letzteres vermuten. Zumindest ist sich aber Leigh über ihre Aversion sicher: „I hate Rock’n Roll.“
Sulgi Lie ist Privatdozent für Filmwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Er ist Autor von "Towards a Political Aesthetics of Cinema. The Outside of Film“. 2021 erscheint sein Buch „Gehend kommen. Adornos Slapstick.“ Er schreibt regelmäßig Filmkritiken für das Online-Magazin das filter.